MICHAIL
KRAUSNICK

miGeb. 1943 in Berlin, aufgewachsen in Hannover,
lebt als freier Autor bei Heidelberg. Satiren, ScienceFiction, Hörspiele, Film- und
Fernsehdrehbücher,
Theaterstücke, historische Sachbücher und Biographien,
Gedichte und Geschichten für Kinder und junge Menschen.
Kabarettautor für "Kom(m)ödchen", "Deutscher Michel",
"Stachelbären",
Thomas Freitag u.a.
;
Mitglied in KOGGE, P.E.N. und VS

Deutscher Jugendliteraturpreis 1991  für "Die eiserne Lerche".
Auswahlliste Dt. Jugendliteraturpreis 1984; Auswahlliste Gustav Heinemann-
Friedenspreis
1984 u. 1991; Friedenspreis der Friedenstage Kirchheimbolanden  
(mit der Sinti-Geschichtswerkstatt); Louise Zimmermann-Preis 1998;
Wildweibchenpreis, Reichelsheim 1999; Wilhelm-Zimmermann-Preis 2003;
Drehbuchprämie des BMI 1977; Nominierung Adolf-Grimme-Preis 1995 u.
CIVIS-Fernsehpreis der ARD (Buch u. Regie).

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Veröffentlichungen:

HAST DU WAS, DANN BIST DU WAS, Die Methoden der Werbung,
Ton-Dia-Serie, Deutsches Jugendschriftenwerk, Frankfurt 1964;

Paul Heyse u. d. Münchener Dichterkreis, Diss. phil., Bouvier 1974;
Deutschlands Wilder Westen, Vom Räuberleben in deutschen Landen, Arena 1977;
Beruf: Räuber, Rowohlt 1978; Beltz u. Gelberg 1990; wellhöfer 2009;
Von Räubern und Gendarmen, Sachbuch, Arena 1978;

Die Zigeuner sind da, Sinti und Roma zwischen Gestern und Heute, Arena 1981;
"Für die biste doch der letzte Dreck!", Jugendliche in einer Obdachlosen-
siedlung (mit Jürgen Enders), Rowohlt 1982;
Lautlos kommt der Tod, SF-Roman, München 1982;
Hungrig! - Jack London, Beltz&Gelberg 1984;
Die Sache Mensch, Satiren, Rowohlt 1985;
Der Liebesverweigerer, Ravensburger 1987;
BAPF, Texte für Kinder, Boje 1988;  
Die Eiserne Lerche, Georg Herwegh, Dichter und Rebell, Signal 1990,
Beltz und Gelberg 1993; 
Abfahrt: Karlsruhe, Die Deportation der Karlsruher Sinti und Roma,
Karlsruhe 1990;
Stichworte, Satiren, Lieder und Gedichte, Alkyon 1990;
Verschüsselt und verkabelt, Bleicher 1991;
Die Überlebenden sind die Ausnahme, Der Völkermord an Sinti und Roma,
Ausstellung &Katalog, (zusammen mit Anita Awosusi), Landau 1992;
Der Räuberlehrling, Beltz&Gelberg, 1993;
Der Ritter Ulrich, Bertelsmann 1993; edition durchblick 2007;
"Wo sind sie hingekommen?" Der Völkermord an den Sinti und Roma, Bleicher  1994;
Johann Georg August Wirth, Vorkämpfer für Einheit, Recht und Freiheit, Quadriga 1977;

Der Hauptgewinn, oder: Bären für die Ketchupboys, elefanten press 1998; bertelsmann 2000;
die schatzkiste 2006;

Emma Herwegh - Nicht Magd mit den Knechten, Marbacher Magazin 1998;
Al Capone im deutschen Wald, edition durchblick 1999; Wellhöfer 2009;
Der Wanderkuss, Gereimtes und Ungereimtes für junge Leser ab Sechs,
edition durchblick 2000;
"Auf Wiedersehen im Himmel!" - Die Geschichte der Angela Reinhardt,
elefanten press 2001, arena 2005, Weltbild 2005;
Pausenliebe, Geschichten und Gedichte für junge Leser, edition durchblick 2002;
Gegen Satz & Wider Wort, Satiren, Lieder, Gedichte, edition durchblick, 2003;

Matthias Erzberger, Konkursverwalter des Kaiserreichs und Wegbereiter der Demokratie
(mit Günter Randecker), reihe
rhein-neckar-brücke, Bd. 2,  2005;
Jack London, biographisches Porträt, dtv, 2006;
Elses Geschichte. Ein Mädchen überlebt Auschwitz, Sauerländer 2007;
Du bist mir so unendlich lieb! Briefe Clara Wieck, Robert Schumann, Johannes Brahms, Wellhöfer 2010;
Rose  Grandisson - Gefangen in Heidelberg, Wellhöfer 2011;
Denn Du bist mein Liebstes auf der Welt, Christiane und Goethe, Wellhöfer 2011
Von Abschiebung bis Zigeunermärchen (mit Daniel Strauß), edition BoD, 2012;
Geliebter Klon, SF-Geschichten, edition durchblick 2009 u. 2013;
G.A. Bürger, "Jetzt will ich ihn haschen, den Eheschänder!", Wellhöfer 2012;
Behinderung: wer behindert wen?, edition menschenrechte, horlemann 2009;
Es war einmal. Als das Wünschen noch geholfen hat, Reihe Rhein-Neckar-Brücke, 2013;
Modern modern, Satiren Lieder und Gedichte, edition durchblick, 2013;
Weisser Bruder Schwarzer Rock -  der Indianermissionar, hist. Roman, Conte Verlag, 2014

Theaterstücke:

Beruf: Räuber, Bad. Landesbühne, 1979
Die Sinti-Revue, Bad. Landesbühne, 1985;
Lustig ist das Zigeunerleben?, Sandkorn Karlsruhe 1988
Emma H., oder: Vom Traum der deutschen Republik,
Bad. Staatstheater Karlsruhe 1998;
Carl und Caroline, oder: Nichts als Legenden, ein Spiel
zum 300. Geburtstag der Stadt Karlsruhe, Juni 2001.

 

Filme:

Grandison, dt./frz. Spielfilm (Buch), 1979
Das letzte Lied des Räubers Mannefriedrich (Buch und Regie), SR 1982;
Auf Wiedersehen im Himmel, Die Sinti-Kinder von der St. Josefspflege,
(Buch und Regie) SWF 1994;
Herweghs verfluchtes Weib (Buch und Regie), SWF1998.

 

Fernsehen (Drehbücher u. Filmbeiträge)

Wer dreimal lügt, Schatzkammer, Hierzuland, Auf Ihren Wunsch, 
Freitags Abend - Medienkunde für Anfänger,
Mit Schraubstock und Geige, Geschichtspunkte (Ritterzeit/Räuberzeit),
Die Abenteuer des Ritters Ullrich von Weissenberg, Der Räuberlehrling,
Mix, Locker vom Hocker, Extratour, Medienkunde für Anfänger,
Briefwechselserie (Goethe/Christiane, Bürger/Elise Hahn,
Schumann/Clara Wieck, Brahms/Clara Schumann, Lessing/Eva König,
Arthur Schnitzler/Adele Sandrock)...

 

Hörspiele:

Der Fall Kovac. SF-Hörspiel nach der Erzählung »Leben ohne Ende«
von Howard Fast. SDR-HD 1970;
Der tödliche Rücken. Satirische Biographie nach der Erzählung
»Westcottes Glanz und Ende« von Wolfgang Hildesheimer.
Hörspielbearbeitung. SDR-HD 1970;
Die Friedenswaffe. SF-Hörspiel. SDR-HD-Unterhaltung. 1972;
Wunschkonzert. Eine absurde Collage. SDR-HD-Unterhaltung
u. HR 1973;
Love-stories. Liebe macht dick. Collage. SDR-HD-Unterhaltung. HR;
Nachrichten. Collage. SDR-HD-Unterhaltung. HR;
Das Heidelberger Blutgericht. Vom Ende der Hölzerlipsbande.
SDR-HD-Unterhaltung;
Nur sterben ist schöner. Science-Fiction-Spiel nach der gleichnamigen
Erzählung von J. T. Macintosh. SF. SDR. 1973;
Die Aufnahmeprüfung.
Ein Science-Fiction-Spiel. SF. SDR. 1974;
Pentakinin, Science-Fiction als Radiospiel. Zusammen mit
Dr. Reimar Rudolph. SDR. 1974;
Gottlieb Theodor Pilz. Der große Dämpfer. Nach Wolfgang Hildesheimer.
SDR-Unterhaltung. HR;
Spitzelgeschichte. Satirisches SF-Hörspiel nach der Erzählung
von Robert Sheckley. SDR-HD-Unterhaltung;
Der Heiligenschein, Fantasy-Hörspiel nach einer Erzählung
von Curt Siodmak, SDR, Heidelberg;

Der Liebesverweigerer.
Eine Science-Fiction-Satire. BR;
Die PI-Story. Hörspiel nach einer Erzählung von Curt Siodmak.
SF, HD-Unterhaltung;
Tod ohne Ende. Science-Fiction-Hörspiel nach der Erzählung
»Biohasard« von Konrad Fialkowski. SF. SDR. 1975;
Letzte Liebe, SF-Hörspiel. SF. SDR. HD. 1986;
Und wenn sie nicht gestorben sind. SF als Radiospiel. SDR HD 1988;
Die Hysterisis-Schleife - Hörspielfassung der gleichnamigen Erzählung
von Ilja Warschawski. SF. SDR. 1976;
Feindliche Pflanzen. Nach der Erzählung »Proxima Centauri«
von Murray Leinster (1935). SF. SDR;
Planziel Genie. Hörspiel nach der Erzählung »Geschichte ohne Held«
von Ilja Warschawski. SDR. SF. 1987;
Das Lord-Byron-Projekt. Nach dem Roman »Unterhaltungen mit
Lord Byron über das Widernatürliche, 164 Jahre nach dem Tod seiner
Lordschaft« von Amanda Prantera. SF. SDR 1991;
»Eine ganz raffinierte Person« - der Fall Maria K., Dokumentarisches
Hörspiel nach den Akten des Sondergerichts Mannheim. WDR 1992;

Wo sind sie hingekommen? – Die Zigeunerkinder von Mulfingen, Feature, SWR 2002;
 
Matthias Erzberger - Konkursverwalter des Kaiserreichs und Wegbereiter der Demokratie, Feature, SWR 2004
.


Funkbeiträge in:

Heidelberger Palette, Fröhliche/Lyrische Morgenstunde, Radio-Gazette,
Auf  los geht's los, Pop am Morgen, Zeitbrille, Heisse Sachen,
Blitzableiter (alle SDR), Fantasie in Plüsch, Funk für Fans (HR)

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Michail Krausnick / edition durchblick
 
                                                       
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WIE DIE INDIANER UROPA ENTDECKTEN

 

Blauer Bär vom Stamme der Chippewa hatte sich ganz schön verpaddelt mit seinem Kanu.
Eigentlich wollte er nämlich nur seinen Urgroßvater, einen Medizinmann an der Mündung
des Flusses besuchen. Doch ein gewaltiger Wind blies ihn auf die Großen Seen hinaus
und nach Monaten landete er auf einem fernen Kontinent, den er kurzerhand UROPA taufte.
(Generationen später setzten Dösköppe ein E davor, weshalb heute bisweilen von E-UROPA die Rede ist.)

Die ersten Ureinwohner, die Blauer Bär entdeckte, waren sehr freundlich.
Sie liefen am Strand zusammen, bestaunten seine wettergebräunte Haut, das schwarze Haar,
seine stählernen Muskeln und Waden. Sie selber waren nämlich leider etwas blässlich.
Aber dafür hatten sie goldene Haare auf dem Kopf.

Überhaupt hatten sie es mit Gold.

Sie gaben ihrem Gast dunkelgold gefärbtes Wasser zu trinken, das als Tee verehrt wurde,
später auch hellgold verdünnisiertes Feuerwasser, das, wenn es fehlte, Bier gerufen wurde.
Und zum Essen reichten sie goldene Kartoffelstäbchen mit goldenen Fischen, die sie Bücklinge nannten.
Gold, Gold, Gold - wohin man nur sah.

Als Blauer Bär, schon ein wenig betüttelt vom goldenen Gesöff, die liebenswürdigen Menschen
deshalb Goldhaardinger taufen wollte, wurden sie aber sehr wütend. Nein, nein! riefen sie.
Sie seien schon seit Urzeiten waschechte Butjadinger.

Blauer Bär hatte ein Einsehen, und so kam es, dass auch heute noch alle Bewohner von UROPA,
vom Nordkap bis Sizilien die Butjadinger genannt werden.

Ein  Mädchen jedoch hatte es ihm besonders angetan. Dörte hatte eine Haut weiß wie Schnee,
Augen, wie das Meer so blau, und eine silberne Zahnspange. So etwas Schönes hatte er ja
sein Lebtag noch nicht gesehen.

Als sie sich leider trennen mussten, weil Blauer Bär auch mal wieder bei seiner Mutter
zum Abendbrot aufkreuzen wollte, da kullerten ihm vor Abschiedsschmerz so dicke Tränen
über die Backen, dass Dörte sich kurzerhand aus lauter Liebe eine goldene Locke
von ihrem Haar riss und ihm zum Angedenken mit auf den Weg gab.

Als Blauer Bär nach vielen Wochen wieder bei seinem Stamm war, erzählte er natürlich
an den Lagefeuern von seiner Entdeckung UROPAs, vom Butjadinger Eldorado und der geliebten Dörte.
Und als er zum Beweis ihre goldene Locke vorzeigte, packte auch die Sioux, Apachen, Cheyenne,
Irokesen und viele andere ein großes Fernweh nach Butjadingen. Vorsichtshalber nahmen die Völker
Amerikas jedoch Tomahawk, Pfeil und Bogen mit auf die Reise. Und dank ihrer überlegenen Waffentechnik
waren sie bald die Herren des neuen Erdteils.

 

Mit der Zeit kamen immer mehr Menschen mit gesunder Hautfarbe in das Land der Blassgesichter,
und da sie sich hinter den Deichen so pudelwohl fühlten, erichteten sie auch gleich ihre Zelte
und wollten als schwarzhaarige Zweiteinwohner für immer und ewig bleiben in dem gelobten Lande.

Nun gab es allerdings eine alte, weise Frau vom Stamm der Apachen, die stand über allen Häuptlingen
und wurde gerühmt als Beschützerin der Steine, Pflanzen und Tiere. Genetisch gesehen war sie sogar
die Ahnfrau einer Romanfigur mit acht Buchstaben. Als sie hörte, dass die Butjadinger ihre Kühe, Schafe,
Schweine und Hühner in Gefangenschaft hielten, ihnen Eier und Milch klauten, oder sie dick und fett
mästeten, um sie hernach abzuschlachten, wurde sie sehr, sehr traurig. Denn nach dem Willen
des Großen Geistes dürfen unsere Tierbrüder nur im ehrlichen Kampf bezwungen
und nur aus Not verspeist werden.

Empört über die Brutalität der Butjadinger berief Winnetous Uroma den großen Rat ein.
Und noch in der selbigen Nacht wurden alle Gatter, Mauern und Zäune niedergerissen. Da erscholl
auf den Wiesen und in den Wäldern ein so freudiges Wiehern, Gackern, Muhen, Schnattern, Quieken
und Krähen, dass es die Manitus freute und man noch heute davon spricht.

Zur Strafe für ihre bestialischen Missetaten wurden die Erstbewohner auf den langen Marsch der Tränen
geschickt und in abgelegene Reservate gesperrt, die seither als Hamburg, Bremen, Kopenhagen
oder München beschildert sind. In diesen Steinwüsten war so wenig Platz, dass sie ihre Wigwams
wie Käfige übereinander und in schwindelnde Höhe bauen mussten.

Seither fristen die Blassgesichter in ihren Käfigen ein kümmerliches Leben und sind gezwungen,
Cola zu trinken und BigMacs zu mampfen. Kein Wunder, dass sie zu einer aussterbenden Minderheit wurden.

Aber das ist nur der Beginn einer langen Geschichte, an deren Ende
die Zivilisation und die heutige Kultur UROPAS steht.


Sprechende Titel

Ja, also in der Vorweihnachtszeit, so etwa am 24. Dezember vormittags,
da überwinde ich dann ja geschenkehalber schon mal meine Schwellenangst
und wage mich in die heiligen Hallen einer Buchhandlung.
Zu diesem Zeitpunkt hat man nämlich die größten Chancen,
etwas wirklich Gutes zu bekommen.
Die schlechten Bücher, also die Bestseller, sind fast alle schon ausverkauft,
die Paletten abgeräumt, die Spreu vom Weizen getrennt. Und das Gute liegt so nah.
Jetzt kaufen nur noch Nachzügler, oft mit einem Zettel in der Hand,
auf dem ein merkwürdiger, aber schwer zu merkender Buchtitel steht.
Also, wie gesagt, ich genieße das: die geleerten Regale, die Bestsellerfreiheit,
die genervten Buchhändler, und alle die komischen Stadtneurotiker,
die sich nur unter Zwang entscheiden können, und kurz vor Ladenschluss
dann doch noch last-minute ein Buch buchen möchten oder müssen.
Den Titel stottert er (oder sie) dann der Verkäuferin vor. Meist vergeblich,
denn an diesem Heiligen Tag,
in dieser Stunde herrscht Bestsellerfreiheit, High Noon,12 Uhr mittags.
Zum Beispiel,  ist schon ein paar Jahre her, da stand ich direkt daneben,
als sich eine junge Frau einen Buch von Gaby Hauptmann wünschte.
Sie war, mit Susanne Fröhl-ich zu sprechen, ein wenig moppel-ich
beziehungsweise trächt-ich. Mit anderen Worten hoch-,
um nicht zu sagen allerhöchst schwanger.
Und auf die Frage der Buchhändlerin: “Ja bitte, Sie wünschen...?”, 
schob sie ihren Bauch vor die Theke und nannte einfach nur den Titel:
“Suche impotenten Mann fürs Leben!”
Die Buchhändlerin erstarrte angesichts der schwellenden Leibesfrucht,
hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund, und stammelte:
“Zu spät!”
“Wie zu spät?”
“Alle schon weg! Aber... Eva Heller hätte ich noch:
“Beim nächsten Mann wird alles anders!”
“Nein danke, das habe ich schon.”
Tante Else zum Beispiel, liebte diese lebenshelfenden Bücher sehr,
und vor allem diejenigen, deren Titel so vielsagend sind,
dass man sie gar nicht erst lesen muss.
Im Titel ist alles drin. Aktion Lebenshilfe, wie gesagt.
Und Bestseller, selbstverständlich.
Tante Else kaufte ständig diese schlauen Bücher. “Wenn Frauen zu sehr lieben”,
“Frieden ist machbar!”, “Warum Männer nur selten, und Frauen so oft...”,
“Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse kommen überall hin!”,
“Du kannst mich einfach nicht verstehen”,“Liebe ist nur ein Wort”,
“Lerne klagen, ohne zu lachen!”, “Simplify your life!”- “Versimple Dein Leben!” -
oder: “Passen Sie gut auf sich auf!” von Pastor Fliege.
Je nach Besuch und Stimmungslage legte oder stellte Tante Else diese Bücher
dann  so ins Blickfeld, dass der jeweilige Gast gleich am Rätseln war,
was wohl gerade mit ihr los war. 
Und was sie damit sagen wollte. Meistens war es “Sorge dich nicht - lebe!”,
dieser amerikanische Dauerbrenner, mit dem sie ihre allzeit bereite, hochsensible,
aber durchaus optimistische Grundhaltung schon mal im Vorfeld signalisierte.
Mehr ein Zufall war es allerdings, dass an jenem Tag, an dem Tante Else
das Zeitliche segnete, ein Buch von Hape Kerkeling auf ihrem Nachttisch lag:
“Ich bin dann mal weg!” Nun ja.
Mit bestimmten Buchtiteln sollte man sowieso - nicht nur in der Vorweihnachtszeit -
vorsichtig sein, am besten gar nicht erst aussprechen,
sondern einfach einen Zettel vorzeigen.
Statt die Buchhändlerin nach der Enkeltochter der Wanderhure zu fragen, oder,
ob sie Feuchtgebiete habe - und damit vielleicht eine Ohrfeige zu riskieren.
Es kann ja auch sein, dass man, habe ich selbst erlebt, vor allen Kunden blamiert wird.
Ist schon etwas her, aber auch zur Weihnachtszeit. Wahrscheinlich kennen Sie ja
die wunderbaren Comics von Walter Moers vom Käptn Blaubart und dem kleinen...
Punkt. Punkt. Pünktchen.
Also ich war es ja nicht, aber ein Freund, der das Buch noch in allerletzter Minute
als Weihnachtsgeschenk erwerben wollte. Also wir waren so am Reden,
plötzlich kommt die bildhübsche Verkäuferin auf uns zu und schon ging es los mit
“Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie was Bestimmtes? Haben sie einen Wunsch?”, 
und mein Freund ist so perplex, geht mit ihr an die Verkaufstheke,
kriegt kaum noch den Titel zusammen, sagt es dann doch,
und plötzlich schreit die Schöne durch den ganzen Raum:
“Sabine, hier ist ein Kunde, der ein Kleines Arschloch will, haben wir das noch?
Darauf die Antwort aus der hintersten Ecke, fast schon gebrüllt: Nein,  Arschloch ist aus!
Aber die liebenswürdige Verkäuferin gibt nicht auf: Warten Sie mal!
Vielleicht doch, weil Sie es sind. Und schon schallt es über die Sprechanlage:
Kleines Arschloch, 
Ist noch ein Arschloch  im Lager?//
Was? Wie bitte?//
Ob Du ein Kleines Arschloch hast? 
Und nach langem Hin und her, endlich die frohe Botschaft: ich hab eins!//
Oh ja, danke, Sven, also bitte, wer war das noch mal mit dem kleinen..., wer wollte ein....???
Nun ja, fröhliche Weihnachten!
Mein Freund hatte bereits fluchtartig den Buchladen verlassen.

DAS BUCH IN DER KRISE


Auch bei uns Schriftstellern fordert die Wirtschaftskrise ihre Opfer.
Auch wir sind ja, mit Schiller im Schillerjahr zu sprechen, unter die „Räuber“
und Bankster gefallen, wissen was die „Glocke“ geschlagen hat, nagen am Hungertuch
und brauchen zumindest eine „Bürgschaft“.

Und deshalb, spätestens auf der Buchmesse wird die Kanzlerin edelhilfreichundgut wie immer
verkünden, welche Rettungsmaßnahmen sie und Kollegin Schavan sich für die Buchindustrie
ausgedacht haben. Um dem Buchmarkt wieder auf die Beine zu helfen,
wird der Bundestag - rechtzeitig wie immer - ein Nothilfeprogramm für Not leidende
Schriftsteller, Buchhändler, Verleger und Konzerne beschließen:
eine Abwrackprämie für marode Bücher.

Also bringen Sie einfach ihren muffig riechenden, vergilbten Papier-Schrott 
zur Buchmesse mit, liefern Sie das abgenutzte Literaturgut draußen vor der Tür
am Schredder ab und lassen Sie sich Ihre Abwrackprämie für den Neukauf errechnen.
Beispielsweise können Sie 20 Romane von Martin Walser, sofern sie über 10 Jahre alt sind,
gegen eine blitzsaubere Neuerscheinung von einem meiner Kollegen,
oder sogar von mir, eintauschen.

Liebe Literaturfreunde, Sie ahnen natürlich, welch heilsame Wirkung das haben wird:
Verschlankung geistiger Überkapazitäten, Befreiung von literarischen Altlasten,
Förderung hoffnungsvoller junger Talente
und und und... 
Und selbst die Grünen hätten bestimmt nichts dagegen: müllgetrennte Altpapierentsorgung,
umweltfreundliches Recycling. Regen- und andere Wälder könnten stehen bleiben.
Sicher ist
der Abbau traditioneller Bücherhalden nur ein erster Schritt zur literarischen Wiederbelebung.
Aber es kommt noch besser.
Zu Weihnachten folgt die Abwrackprämie II.

Rechtzeitig zum Fest kann sich der fortgeschrittene Literaturfreund mit  staatlicher Stütze -
alt gegen neu - ein funkelnagelneues "Kindle", einen Elektroreader ertauschen.
Gegen
eine 200 Jahre alte Schiller-Gesamtausgabe zum Beispiel.
Werfen Sie die 26 Bände einfach am Eingang Ihrer Buchhandelskettenfiliale
in den Reißwolf, und schon wird Ihnen eine bildhübsche Hostess von Ichbindochnichtblöd
das neue Lesegerät überreichen.
In Amerika (du hast es besser) war das bereits im letzten Weihnachtsgeschäft der große Renner,
sofort ausverkauft, so dass unser Kontinent, der alte, bislang noch darben musste.
Aber - warte nur balde - diesmal  wird der E-Book-Leser auch bei Ihnen unterm Weih
nachtsbaum liegen.
Das elegante, etwa taschenbuchgroße Display - vom TÜV Rheinland prüfgesiegelt und von führenden Augenoptikern als extrem augenschonend zertifiziert,- wird Sie begeistern!  
Es ist pappendeckeldick, blendfrei und wesentlich lesefreundlicher als Papier.
Umblättern per Fingertipp. 
Wer blind ist oder einfach nur seine Augen schonen will, kann sich per Funk und Kopfhörer die Texte
von populären Schauspielern ins Ohr säuseln lassen. Sloterdijk beispielsweise. Oder Feuchtgebiete.
Daumendruck.
Ganz einfach also. Sämtliche Neuerscheinungen können Sie online herunterladen.
1000 Bücher auf 192 Megabyte.
Gegen eine kleine Gebühr - versteht sich. Die käme dann mitsamt den Einsparungen von Brillen,
Kontaktlinsen und anderen Sehhilfen direkt den Not leidenden Verlagen und Medienkonzernen zu Gute.

Gerade Sie als Literatur-User würden profitieren. Ihre Wohnung könnte endlich von alten Schwarten befreit
und entstaubt  werden, durch das Freiräumen von Regalen, Bücherschränken und Bibliotheken würde
neuer Wohnraum gewonnen. Spinnen, Milben, Bücherwürmer, Bakterien wird der Garaus gemacht,
die Konjunktur gespritzt, die Volksgesundheit gefördert.

Aber ich gerate ins Schwärmen.
Eines Tages - die Entwickler in Hongkong arbeiten bereits daran -
wird der Elektroreader sogar leichter als Luft sein.
Wir werden aufpassen müssen, dass er uns nicht davon fliegt.

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