DIE EISERNE LERCHE
GEORG HERWEGH
Dichter und Rebell

 

AKTUELL

150 Jahre SPD
1863, vor 150 Jahren wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein von Ferdinand Lassalle
gegründet.

Georg Herwegh
, sein Freund und Mitstreiter, der Dichter und Freiheitskämpfer von 1848,
schrieb das Bundeslied "Mann der Arbeit aufgewacht...",
das zur Hymne der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert wurde
und bis heute bei Streikenden in aller Welt (zuletzt in Mexiko und Südafrika)
kämpferische Parole gebleiben ist:

MANN DER ARBEIT AUFGEWACHT!
UND ERKENNE DEINE MACHT!
ALLE RÄDER STEHEN STILL
WENN DEIN STARKER ARM ES WILL!

Georg Herwegh, 1863

Die Erinnerung an den aufrechten Gang von Emma und Georg Herwegh,

sowie ihren Kampf für soziale Gerechtigkeit
und gegen das "REICH DER REICHEN" - ist heute aktueller denn je!

 
heju
   
Georg Herwegh,
Dichter und Rebell

Gulliver-Taschenbuch 773
ISBN 3-407-78773-1 , €  7,45
BELTZ & GELBERG
 

Georg Herwegh (1817-1875), von Heinrich Heine als eiserne  Lerche begrüßt, stellt den Kampf um demokratische Freiheit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt seiner Dichtung. Michail Krausnick verfolgt die Stationen seines abenteuerlichen Lebens, seine Entwicklung zum Dichter und politisch Handelnden und zeichnet ein lebendiges Bild dieses Mannes, dessen Ideale bis heute aktuell sind.

In enger Verbindung von Leben und Werk gelingt Krausnick eine einfühlsame, differenzierte Annäherung an den Menschen und Dichter.
Jurybegründung zum Deutschen Jugendliteraturpreis

Anschaulich beleuchtet Krausnick zugleich ein Stück deutscher Geschichte. Eine kritische Biographie, die sich auch dadurch auszeichnet, dass sie Emma Herwegh  so stark miteinbezieht. 
Frankfurter Rundschau

Ihr Herwegh-Buch halte ich nach wie vor für das Beste, was je über die Revolution 1848/49 geschrieben wurde.
Alfred Georg Frei

b

als Klett-Leseheft
mit zusätzlichen Materialien
ISBN 3-12-262230-0

besen

ERSTAUSGABE

erst

siehe auch: besen

Neuemma
Emma -
Herweghs verfluchtes Weib

Nicht Magd
mit den Knechten!

Die Lebensgeschichte
einer revolutionären Frau

von Michail Krausnick

besen TB-Ausgabe
194 Seiten, über 50 Abb.
Reihe Rhein-Neckar-Brücke 15
9,70 €
ISBN
9781517457822


NEU
auch als Hardcover
192 Seiten mit 40 schwarz-weiß und11 farbigen Abbildungenemm
19,80 Euro
ISBN
978-3738635966
bes

 em2 
(Erstausgabe als Marbacher Magazin der Deutschen Schillergesellschaft/ vergriffen)
Das Porträt einer außergewöhnlichen Frau, in den besten Berliner Kreisen zuhause, wohlbegütert und  hoch- begabt, die sich in die Gedichte des politischen Lyrikers Georg Herwegh verliebt,  mit ihm in Männerkleidern 1848 aktiv am Revolutionsgeschehen beteiligt und die  (im Gegensatz zu anderen Alt-48ern und den literarisch gewendeten Zeitgeistern unserer Tage) für aufrechten Gang und demokratische Ideale Not und Exil in Kauf nimmt. Sie lebte und dachte selbstbewusst, europäisch und revolutionär. 
Zu ihren Freunden, Gesprächs- und Briefpartnern zählten Lassalle, Mieroslawski, Bakunin, Garibaldi, Orsini, Feuerbach, Hecker, Wedekind u.v.a.


DIE ZEIT - Zeitläufte emma
Amazone der Freiheit

Das Leben der Emma Herwegh – Republikanerin, Kämpferin, große Liebende. Und für eine Nacht des Jahres 1848 die erste Heerführerin der deutschen Geschichte

Von Michail Krausnick

 
 
Paris im Frühjahr 1893. Ein junger Mann, Schriftsteller aus Deutschland, eilt durch die Stadt, in die Rue des Saints-Pères No 40. Er hat die Adresse gerade erst bekommen, kann sich kaum vorstellen, dass die Frau, die er sucht, überhaupt noch lebt. Dass es sie überhaupt gibt, diese legendäre Gestalt, die einst, vor bald einem halben Jahrhundert, in Männerkleidern für Freiheit und soziale Gerechtigkeit das Leben wagte: »Und durch Europa bahnen wir / der Freiheit eine Gasse!«

Frank Wedekind, der junge Mann, findet die alte Dame, Emma Herwegh, gesund und heiter in der Straße der heiligen Väter. Sie gibt ihm Sprachunterricht, lektoriert sein Stück Die Büchse der Pandora, prüft die französischen Passagen. Sie erkennt sofort sein außergewöhnliches Talent. Die 76-Jährige bemuttert und berät den 28-Jährigen, verwöhnt ihn mit Datteln, Marzipan, mit Rum und Zigaretten. Auf dem Sofa der ärmlichen Mansardenwohnung entwickelt sich eine »merkwürdig schöne Vertrautheit«, oft geht der Blick zurück.

Früh war sie eine Persönlichkeit, die junge Emma Siegmund, geboren am 10. Mai 1817 als Tochter des Berliner Seidenwarenhändlers und Hoflieferanten Johann Gottfried Siegmund, und eine der begehrtesten Partien der Stadt. Charmant, umfassend gebildet, nicht zuletzt ausgestattet mit einer üppigen Mitgift. Von akademischen Lehrern privat erzogen, beherrschte sie sieben Sprachen, musizierte, zeichnete, schrieb Gedichte. Die Familie wohnte vis-à-vis dem Schloss, führte einen glänzenden Salon; wenn Emma Schnupfen hatte, kam der Leibarzt des Königs. Was sie keineswegs hinderte, den bornierten Nachbarn von Herzen zu hassen. Beim Bogenschießen im Park, berichteten Vertraute, habe sie am liebsten auf Abbilder des Preußenkönigs oder des russischen Zaren gezielt: in tyrannos – gegen die Unterdrücker der deutschen und der polnischen Freiheit.

Emma ritt wie der Teufel, schoss mit Pistolen, schwamm bei Mondschein in Flüssen und Seen, turnte, rauchte. Sie besuchte die rapide wachsenden Elendsviertel Berlins und betreute Polens Freiheitskämpfer im preußischen Gefängnis. In ihren eigenen Kreisen fühlte sie sich kaum noch zu Hause. Sie bekam Wutanfälle, schmiss Türen, mischte sich in die Gespräche der Offiziere und Minister. Machte ironische Bemerkungen. Vergraulte die Bewerber. In ihren Tagebüchern lässt sie ihrem Hohn über das Berliner Männermaterial freien Lauf: »Beamtenseelen«, »Philister«, »liberales Pack«, »fahle Brut«, »Hofschranzen«, »Speichellecker«. Nur ein Künstler oder Freiheitskämpfer kam für sie als Gefährte in Betracht. Ein Zurück hinter die Tage der Französischen Revolution konnte sie sich nicht vorstellen.

»Und wo es noch Tyrannen gibt, die laßt uns keck erfassen! / Wir haben lang genug geliebt, wir wollen endlich hassen!« Als Emma Siegmund 1841 diese Verse zum ersten Mal las, habe sie es sofort gespürt und vor der Familie ausgerufen: »Das ist die Antwort auf meine Seele!« Dabei wusste sie damals so gut wie nichts über den Verfasser, nicht, wie er aussah, nicht einmal seinen Namen. Denn das Bändchen, das in ganz Deutschland Furore machte wie kein Werk seit Schillers Räubern, war anonym erschienen: Gedichte eines Lebendigen. Erst nach und nach sickerte durch, dass er Schwabe sei, im Schweizer Exil leben müsse, da er sich als Rekrut geweigert habe, Loblieder auf den König zu singen und im Stuttgarter Opernhaus »württembergische Uniformen« zu grüßen.

Mit Ferdinand Lassalle plant sie die Erstürmung des Vatikans

Rasend schnell hatte sich dieser Namenlose einen Namen gemacht. Unerhört waren seine Töne: »Reißt die Kreuze aus der Erden, / alle sollen Schwerter werden!« Obgleich die Gedichte sofort verboten waren, ließen sie den 24-jährigen Georg Herwegh im Nu zum erfolgreichsten Lyriker seiner Zeit werden; man schmuggelte sie ein, verkaufte sie unterm Ladentisch, sie wurden abgeschrieben, auswendig gelernt, gesungen. Theodor Fontane, Gottfried Keller und Karl Marx, alle im selben Alter wie der Dichter, gehörten zu seinen begeisterten Lesern. Seine größte Bewunderin freilich war Emma Siegmund. Unter dem Vorwand, unbedingt ein Porträt von ihm zeichnen zu müssen, setzte sie alles daran, ihren Papiergeliebten nach Berlin zu locken.
 
50 Jahre später in Paris – die Mansarde ist wie ein kleines Herwegh-Museum eingerichtet. Berühmte Gestalten blicken aus goldenen Rahmen auf Wedekind herab: Victor Hugo, Friedrich Hecker, Garibaldi, Franz Liszt, Feuerbach, Fanny Lewald, George Sand, Marie d’Agoult – nahezu das ganze Jahrhundert ist versammelt. Nur Marx, Heine und die (späteren) Intimfeinde Herzen und Wagner müssen in der Schublade bleiben.

Im Mittelpunkt er, der vergötterte Gatte. Ein Foto auf dem Schreibtisch zeigt ihn kurz vor seinem Tod 1875, lächelnd, mit Vollbart, keineswegs verbittert, eher philosophisch versonnen. Der Vergessene, im neuen deutschen Kaiserreich Verbotene. Ein großes Ölgemälde dagegen erinnert an den jungen »Lebendigen«, verträumt-romantisch in die Ferne blickend, wo die Freiheit wohnt.

Herwegh, im Herbst 1842 ohnehin auf einer Tournee (die zum Triumphzug wurde) im zwischenzeitlich etwas liberaler gestimmten Preußen, nahm Emma Siegmunds ungewöhnliche Offerte an. Und schloss – es war Liebe auf den ersten Blick – sieben Tage später bereits die Verlobung mit seiner drei Wochen älteren Verehrerin. »Das Mädchen ist noch rabiater als ich und ein Republikaner von der ersten Sorte!«, jubelte der Bräutigam. Und die Braut versprach: »Schatz, wenn Krieg wird, zieh’ ich mit, mein Reiten soll mir zu statten kommen, das soll eine Schlacht werden!«

Zunächst aber mussten beide fliehen. Die Könige von Preußen, Sachsen und Württemberg ergriff ein dunkles Unbehagen angesichts der rebellischen Kraft, die aus Herweghs Liedern drang, und verbannten den jungen Dichter ein für alle Mal aus deutschen Landen. Anfang März 1843 hatte das Paar in der Schweiz geheiratet, in Paris fanden es Asyl. Eine zunächst geplante Wohngemeinschaft mit Jenny und Karl Marx und dem Publizisten Arnold Ruge und dessen Frau scheiterte, doch Emmas Mitgift ermöglichte eine eigene Wohnung. Bald schon blühte der Salon, Turgenjew, Heine, Bakunin diskutierten hier, Victor Hugo, George Sand und viele andere Politiker und Künstler.

Während ihr Mann literarisch-politische Zeitschriften plante, seine Gedichte und Essays schrieb, übersetzte die polyglotte Emma die Aufrufe ihrer polnischen, russischen und italienischen Freunde und soll – laut Spitzelbericht–, auf einem Wirtshaustisch stehend, vor deutschen Handwerkern sozialistische Reden gehalten haben.

Im Pariser Exil weitete sich der Blick der Flüchtlinge. Soziale Fragen wurden debattiert, europäische Ideen, und die Utopie einer gerechten Weltordnung entwickelt. Emma Herwegh führte fleißig Tagebuch. Dort finden sich allerdings auch erste Tränenspuren. Andere Frauen wie die Gräfin d’Agoult erhoben ebenfalls Anspruch auf den so poetisch aussehenden Poeten, überzeugt, dass er ganz der Freiheit gehöre, auch der erotischen. Emma, die in jener Zeit drei Kinder zur Welt brachte, eine Tochter und zwei Söhne (einer starb im Säuglingsalter), versuchte tapfer zu sein und hoffte, dass alles radikal anders würde, nach der Revolution.

Und 1848 kam sie, die Revolution. In nur drei Februartagen befreiten sich die Franzosen vom korrupten Regime des »Bürgerkönigs« Louis Philippe. Auch Deutsche standen in Paris auf den Barrikaden. Schwarz-Rot-Gold wehte vereint mit der Trikolore und anderen europäischen Freiheitsfarben. Mehr als 60000 Deutsche lebten dort. Politisch Verbannte – und »Wirtschaftsflüchtlinge«: Handwerker und verarmte Bauern, die in den Manufakturen ihr Brot suchten. Als wenig später Volksaufstände auch Berlin, Dresden und Wien erschütterten, wollten viele von ihnen zurück und sich in der Heimat eine bessere Zukunft erkämpfen. Zum Anführer ihrer Demokratischen Legion aber wählten sie keinen Offizier, sondern einen Dichter. »Frisch auf mein Volk, mit Trommelschlag, im Zorneswetterschein!« hatte dieser geschrieben: »O wag es doch nur einen Tag, ein freies Volk zu sein!« Militärische Erfahrung hatte Georg Herwegh allerdings lediglich als Deserteur, doch wen störte das?

Emma Herwegh kramt in ihren Schubladen und Schachteln, zeigt Wedekind die Reliquien von 1848: die Revolutionskokarde, einen Samtfetzen vom Thron des Louis Philippe. Wedekind ist fasziniert von dieser Frau. Fast täglich sitzt er auf ihrem Sofa (bevor er zu seinen jüngeren Freundinnen geht, »Liebe machen«). Er führt sie aus, feiert Silvester mit ihr. Wie intensiv die Beziehung mit der Zeit wird, verrät sein Tagebuch. Sie lästern, klatschen, amüsieren sich. Mit Wut und Ohnmachtsanfällen reagiert Wedekind dagegen auf Emmas jüngsten Sohn Marcel, den erst 1858 Geborenen, gerade mal sechs Jahre älter als er selbst. Wedekind ist nahezu eifersüchtig auf den von Emma verhätschelten Violinisten – der wiederum spottet über den merkwürdigen »Geliebten« seiner Mutter.

Plötzlich dreht sie sich um und hat zwei Pistolen in der Hand. Wedekind zuckt zusammen. Es sind die berühmt-berüchtigten, mit denen sie 1848 in den Freiheitskampf zog. Aber sie hat noch mehr Erinnerungsstücke. Das wichtigste: ein Buch aus jener Zeit, ihr erstes und einziges, die Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris. Auf die Nennung ihres Namens hat sie verzichtet. Es sei ihr nicht um Ruhm gegangen. Einzig und allein »im Interesse der Wahrheit« habe sie geschrieben, gegen die Verleumder. Kaum gedruckt, sei das Büchlein schon verboten und beschlagnahmt gewesen. Einige Exemplare konnte sie retten. Eins schenkt sie ihrem jungen Freund. Wedekind verspricht, einen Verleger zu finden.

Es ist die Geschichte jenes Frühjahrs 1848. Nach tagelangen Fußmärschen sammelten sich die Legionäre in Straßburg, um über den Rhein zu setzen und gemeinsam mit Friedrich Hecker, dem Anwalt aus Mannheim, die Republik zu erkämpfen. Doch am deutschen Ufer wurde bereits kräftig die Franzosenangst geschürt. Die zensierte Presse verbreitete, französische Banditen wären plündernd und brennend in Baden eingefallen.

Emma und Georg Herwegh antworteten mit Flugblättern: »Wir sind keine Freischaren! Wir sind deutsche Demokraten, wollen alles für das Volk! Wir wollen die deutsche Republik!« Hecker zögerte, die Hilfe anzunehmen. Die Hetzkampagne hatte Wirkung getan.

Emma Herwegh übernahm die Initiative. Getarnt ging sie über den Rhein und durchquerte die feindlichen Linien. Zu Fuß, zu Pferd, zu Esel, mit der Bahn und auf Leiterwagen. Sie fand Hecker in seinem Hauptquartier und verabredete die Vereinigung der Heerscharen. Zurück in Straßburg, erwartete sie eine Enttäuschung: Innerhalb weniger Tage war die Legion stark zusammengeschmolzen. So blieben nur 649 Männer und eine Frau, die am 24. April 1848 über den Rhein setzten und auf den schneebedeckten Schwarzwald zumarschierten. Doch als die Legion den verabredeten Treffpunkt erreichte, war Heckers Freiheitsheer bereits geschlagen und in Auflösung begriffen.

Die Herweghs mussten die Legion retten, in der Schweiz neu sammeln. Gejagt von preußischen, hessischen und württembergischen Soldaten, versuchten sie, in nächtlichen Gewaltmärschen auf steilen Gebirgspfaden durch Schnee und Morast zu entkommen. Emma, zwei Pistolen und einen Dolch im Gürtel, marschierte in vorderster Reihe, schmierte im Nachtquartier die Brote, diskutierte mit.

Nach drei Tagen und Nächten erreichten sie das Schwarzwaldstädtchen Zell. Während ihr Mann und die Offiziere im Wirtshaus die schier aussichtslose Lage berieten – die feindlichen Truppen standen vor der Stadt –, wusste Emma Herwegh, was zu tun war. Es gelang ihr, über die Köpfe der Militärs hinweg, die Legionäre zum Weitermarschieren zu bewegen. Für eine Nacht wurde sie zur ersten Heerführerin der deutschen Geschichte. In einem strapazenreichen Marsch leitete sie die kleine Streitmacht auf schmalen Pfaden unversehrt durch die feindlichen Reihen.

Am nächsten Morgen jedoch, dem 27. April 1848, wurde die Legion kurz vor der Schweizer Grenze von württembergischen Truppen gestellt und in die Zange genommen. Es kam zu einem ungleichen Gefecht, bei dem die übermüdeten Freiheitskämpfer ihren ganzen Mut bewiesen, am Ende jedoch geschlagen wurden. 30 Männer starben.

Für Georg, die »Bestie«, und sie, »Herweghs verfluchtes Weib«, blieb wie für die meisten nur die Flucht. Ihr Buch hat den Kampfgefährten, den Gefallenen, den Eingekerkerten, den ins Exil Gegejagten ein Denkmal gesetzt. »Es giebt ein junges, demokratisches Deutschland! Ein Deutschland, das mit der alten Welt und ihren Sünden abgeschlossen hat […]. Diesem Deutschland allein übergebe ich diese Schrift […]. So viel Kämpfe ihm auch noch bevorstehen mögen, so viel seiner besten Kinder auch noch als Opfer des Despotismus fallen werden, ehe es Sieger bleibt, – es weiß, daß es später oder früher siegen muss …«

Ihr Buch werde niemals erscheinen, das habe sie schon beim Schreiben geahnt, erfährt der junge Wedekind. Schon im Sommer 48 war der Sieg der Reaktion nahezu perfekt, trotz des emsig vor sich hin tagenden Paulskirchenparlaments. Und spätestens nach dem Fall Wiens und der standrechtlichen Ermordung Robert Blums am 9. November geriet die demokratische Revolution völlig in die Defensive. Der Aufstand in Baden, in der Pfalz, im Rheinland und in Dresden ein halbes Jahr später konnte nichts mehr retten.

Der Niederlage folgte die Rache der Reaktion, auch in der eigenen Familie. Emma wurde enterbt. Das Wohlstandsleben war vorbei. Honorare gab es kaum noch. Hier und da ein Artikel in der Exilpresse, dann und wann eine Shakespeare-Übersetzung. Die Herweghs mussten ihre Bibliothek, die Kunstwerke, die Möbel verkaufen. Und doch: Emma Herwegh war stolz darauf, dass sich »der Lebendige« nicht wie andere ehemalige Achtundvierziger wenden und verwenden ließ. Als ein lukratives Angebot vom Herzog aus Weimar eintraf, hieß es: »Von Fürsten wird nichts genommen!« Lieber schnorrte und pumpte sie hinter dem Rücken ihres Mannes den Unterhalt für die Familie zusammen.

Trotz der Misere gelang es ihr, inzwischen im Zürcher Exil, noch einmal einen großen Salon zu führen. Gottfried Keller, Richard Wagner, Gottfried Semper, Ferdinand Lassalle, Gräfin Sophie von Hatzfeld und viele andere waren ihre Gäste. Vor allem aber Emigranten aus ganz Europa, darunter viele Italiener. Felice Orsini, Giuseppe Mazzini, Vittorio Imbriani, Piero Cironi – bei ihr liefen die Fäden zusammen. Emma übersetzte Giuseppe Garibaldis Schriften, warb deutsche Freiheitskämpfer für sein Heer, gab ihnen Italienischunterricht, sammelte Spenden und schmiedete mit Ferdinand Lassalle und dem Guerillakriegsexperten Wilhelm Rüstow Pläne für die Erstürmung des Vatikans…

Wedekind kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und noch immer ist Emma Herwegh, die vom Sprachunterricht lebt (auch von einer kleinen Zuwendung der deutschen Schiller-Stiftung), in der Pariser Gesellschaft eine geachtete und einflussreiche Persönlichkeit. Wedekind muss später bekennen, er verdanke ihr so »ziemlich alles«, was er »in Paris Gesellschaftliches kennengelernt und genossen« habe. Ihre Beziehung gewinnt eine für damalige Verhältnisse einzigartige Vertrautheit. Wedekind studiert ja gerade die Liebe und die Frauen, die Lulus und die anderen. Auch da hat Emma Herwegh schamlos viel zu erzählen. Zum Beispiel über ihre oftmals verzweifelten Versuche, freie Liebe zu leben und Treue zu retten. Besonders ihre Rolle in der geheimnisumwitterten »Herzens-Affäre« interessiert den jungen Dichter – eine Affäre, die in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts europaweit einen Skandal ausgelöst hat.

Alexander Herzen, der russische Schriftsteller und Philosoph, war lange Zeit Herweghs engster Freund, die Familien wohnten in Genf einträchtig unter einem Dach. So lange, bis sich zwischen Herwegh und Herzens »engelhaft schöner« Frau Natalie eine leidenschaftliche Beziehung entwickelte, die in einem Drama mit Duellforderungen, Mord- und Selbstmorddrohungen eskalierte. Emma, weniger die Betrogene als die Vertraute ihres liebeskranken Mannes, versuchte, ein Blutvergießen zu verhindern, dabei, laut Gottfried Keller, eine Zigarette nach der anderen »dampfend«. Am Ende trennte sie sich – für eine Probezeit – von Georg und fand Unterschlupf bei ihren italienischen Freunden in Nizza.

Fast alle dort seien bald mehr oder minder verliebt in sie gewesen, heißt es. Ob ihr größter Verehrer, der Revolutionär und Bombenleger Felice Orsini, ihr Geliebter war, wie alle Welt meinte, verrät sie Wedekind nicht. Verbürgt ist nur, dass sie Orsini 1856 aus dem Kerker von Mantua befreite. Sie schmuggelte ein Buch mit Feile in die Zelle sowie einen Mantel, dessen Knöpfe mit Opium gefüllt waren, um die Wärter zu betäuben. Bis zu ihrem Tod bewahrte sie seinen von ihr gefälschten Pass auf, dazu ein Medaillon und eine Locke des Freundes, der 1858, nach einem Attentat auf Napoleon III., unter dem Fallbeil gestorben war.

Zwei Jahre hielten es Georg und Emma Herwegh ohneeinander aus – dann, seit Mai 1853 lebten sie wieder zusammen, überzeugt von der Unverbrüchlichkeit ihrer Liebe.

Gegen das fatale deutsche Kaiserreich, das »Reich der Reichen«

Für Emma Herwegh ist der junge Wedekind ein Geschenk des Himmels. Sie zeigt ihm alles, was sie von und über Herwegh hat. Zensierte, beschlagnahmte Schriften, die ungedruckten Manuskripte; er war ja keineswegs verstummt, wie gern behauptet wurde. Wedekind muss an den eigenen Vater denken, der 1848 auch auf der »richtigen Seite« gestanden hat und nach Amerika geflohen ist. Der wie die Herweghs ein Leben lang an Deutschland litt und, als Bismarcks Blut-und-Eisen-Politik das Reich geschaffen und das freie Deutschland endgültig zerstört hatte, angewidert mit der Familie ein zweites Mal ausgewandert war, diesmal in die Schweiz.

Wedekind bewundert Herweghs Konsequenz, dessen Attacken gegen das imperialistische »Kriegsidiotentum«, gegen die lächerliche mittelalterliche Kaiserattrappe und das »Reich der Reichen«, in dem Demokraten unterdrückt und die Armen »verkauft und verraten« waren und es immer noch sind. Und er hält das Versprechen, das er seiner alten Freundin gegeben hat. Zurück in Deutschland, setzt er alles daran, einen Verleger für Herweghs Werke zu finden. Das dauert. Erst 1909 erscheint die Ausgabe bei Bong in Berlin. Doch zuvor schon, 1896, eröffnen Wedekind und Albert Langen ihre Zeitschrift Simplicissimus, die zum bedeutendsten deutschen Satireblatt der Kaiserzeit werden sollte, mit Herweghs verbotenen Versen. Langen hat dank Wedekinds Vermittlung den Nachlass aufgekauft. Eine besondere Genugtuung aber ist es für Emma Herwegh, dass im selben Jahr ihre Geschichte der deutschen demokratischen Legion endlich in Deutschland erscheinen kann.

Acht Jahre später stirbt sie, am 24. März 1904 in Paris. Neben ihrem Mann wird sie beigesetzt, auf dem Friedhof von Liestal bei Basel, in der Schweiz. Ihre letzte Ruhestatt, so hatten sie es sich geschworen, dürfe nur in einem demokratischen Land liegen. In freier Erde.

(c) DIE ZEIT 18.03.2004 Nr.13


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